Wandernde Gesellen im Kolpinghaus Rheine

Auf der Suche nach einem Quartier kamen in dieser Woche zwei Handwerksgesellen zum „Vorsprechen“ ins Kolpinghaus an der Neuenkirchener Straße. Sie sagten ihr Sprüchlein auf – zur großen Überraschung der Frauengruppe, die dort gerade einen meditativen Nachmittag zur Einstimmung auf die Adventszeit feierte.

Frisch gewaschen und gestärkt geht es wieder auf die Walz, den Charlie auf dem Rücken und den Stenz in der Hand

Die zwei jungen Zimmerer auf der Walz wussten nicht, dass in unserem Kolpinghaus keine Übernachtungsbetten vorgehalten werden, aber kannten wohl die Tradition des Gesellenvaters Adolph Kolping, der sich im 19. Jahrhundert besonders um wandernde Handwerksburschen gekümmert und ihnen Schlafplätze, Essen und eine Heimat geboten hat.

Am Kaffeetisch bei den Kolpingfrauen erzählen die Gesellen Silvio (links) und Dirk von ihren Erlebnissen auf der Wanderschaft

Von den Kolpingfrauen wurden die beiden Handwerker auch sofort eingeladen, sich erst mal mit Kaffee und Kuchen zu stärken, und interessiert hörte man den beiden zu, als sie über ihre Erfahrungen und Pläne auf der Walz berichteten. Silvio (21) aus der Schweiz und Dirk (20) aus Mecklenburg-Vorpommern waren in ihrer standesgemäßen Kluft unterwegs, mit breitem Hut, schwarzen Schlaghosen und Cordweste, gedrehtem Wanderstock und dem zünftig geschnürten „Charlottenburger“ mit ihren Habseligkeiten. Das weiße kragenlose Hemd, die so genannte „Staude“ wurde geziert von der „Ehrbarkeit“, einer schwarzen Krawatte mit Zunftabzeichen. Die Zugehörigkeit zu den „Rechtschaffenen Fremden“, einem Zusammenschluss von Wandergesellen der Holzberufe, wird dadurch deutlich gemacht.

Nach ihrer Ankunft in Rheine (vorher waren sie u.a. in Osnabrück und Lengerich), haben sich die Gesellen im Rathaus gemeldet und beim stellvertretenden Bürgermeister einen Stempel für das offizielle Wanderbuch und einige Informationen erhalten.

Nach den Regeln der Zunft werden die jungen Handwerker nun 3 Jahre und 1 Tag unterwegs sein, einige Monate sind sie bereits durch verschiedene Gegenden Deutschlands und Europas getippelt. Aber ihrem Heimatort dürfen sie sich nur bis auf 50 km nähern. Und wenn auf einer Baustelle entlang des Weges ein Zimmermann gebraucht wird, wird „schenigelt“ (gearbeitet), aber nach ein paar Tagen oder Wochen sucht man neue Aufgaben, trifft neue Leute, erwandert neue Gegenden und lernt fürs Leben.

Eine Übernachtungsmöglichkeit bei Kolping hat sich dann auch noch gefunden. Im Hause Probst gab es für jeden ein richtiges Bett, Abendessen und Frühstück, wofür sich die beiden denn auch mit einem herzlichen Eintrag ins Gästebuch bedankten.

Günther Probst mit seinen Übernachtungsgästen vor dem Kolpinghaus

Danach sind sie gleich weitergezogen, an der Ems entlang Richtung Bentlage und Autobahn A30, um nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau zu halten, die sie nach Holland bringt, wo sie dann mit einem „Schachtkameraden“ zusammentreffen wollen, bevor es durch Belgien in Richtung Schwarzwald geht. Um so weite Strecken zu meistern, muss man schon anspruchslos und gut zu Fuß sein, denn öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, ist verpönt, nur ab und zu mal per Anhalter zu fahren wird als Zugeständnis an die moderne Zeit gesehen.

Früher gehörte die Wanderschaft und damit die Berufserfahrung, zwingend zu einem Handwerkerleben, ohne die niemand die Meisterprüfung ablegen konnte, heute ist die Walz eine freiwillige Entscheidung, aber einem jungen Menschen bieten diese Jahre noch immer sehr viele Möglichkeiten, sich im Beruf weiterzubilden und die Welt kennen zu lernen, und wie man hört, nimmt die Zahl der Wanderer wieder zu. Inzwischen gibt es auch schon emanzipierte Vereinigungen, bei denen junge Handwerkerinnen sich für die Walz einschreiben können.

Ein spannendes Abenteuer ist die Wanderschaft allemal, die jungen Leute lernen eine eigene Sprache, die ihnen unter Eingeweihten weiterhilft, finden in der Gemeinschaft des „Schachtes“ ihre Ersatzfamilie, d.h. Freunde und Helfer für alle Lebenssituationen und auch der Spaß und die Geselligkeit kommen nicht zu kurz.

Für die Kolpingfrauen war diese Begegnung heiter und spannend, eine willkommene Bereicherung des Tages, denn wann trifft man schon mal auf echte Tippelbrüder und erfährt so allerhand aus dem Leben junger Wandergesellen, die ja doch – zumindest zeitweilig – ein sehr alternatives Leben führen.

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